Zingerle Andreas

Texte

1004 Watercolor 150x200 cm.jpg

Stefan-Maria Mittendorf
Kurator für zeitgenössische Kunst München

Anmerkungen zu den Gemälden und Objekten von Andreas Zingerle

 

Lesen Sie mehr →

 

Verdichtete Wirklichkeit

Ungegenständliche Kunst stellt heute keinen Affront mehr gegen den klassisch geschulten Geschmack dar.

 

Lesen Sie mehr →


Es gibt viele mögliche Arten, über Werke der Kunst zu reden. Man kann z.B. übers Material reden, so wie es die Naturwissenschaft tut, wenn sie Farben analysiert, um Originale nachzuweisen und um Fälschungen zu entlarven. Andreas Zingerle verwendet für die Skulpturen Beton, wie man ihn im Baustoffhandel kaufen kann und für die Bilder handelsübliche Ölfarben und Leinwände. Das Grau ist in den Bildern eine Mischung aus Eisenoxidschwarz und Titanweiß. Das Grau des Betons ist das Grau, das dieser Beton von Natur aus hat. Diese Materialien kommen in vielen Werken der Kunst vor, sodass man übers Material allein den hier ausgestellten Objekten zunächst nicht viel näher kommt.

Dann könnte man aus formalistischer Perspektive über die reine Form reden, weil mich eine außerformale Bedeutung nicht interessiert. Man könnte z.B. über die Balance der verschiedenen Grautöne nachdenken, über das Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund oder über die Spannung, die erzeugt wird, wenn das Motiv aus der Mitte rückt oder wenn die Vertikale verschoben ist. Man könnte entsprechend der Gestalttheorie das Verhältnis der Kontraste oder die Proportion von Motiv und weißer Leinwandfläche analysieren oder sich die Proportion der Skulpturen, das Verhältnis zwischen Licht und Schatten oder die Perfektion der Oberfläche ansehen.

Gäbe man dieser formalistischen Position höchste Relevanz, so könnte man Vergleiche mit anderen Künstlern anstellen und prüfen, ob sich der Künstler in eine formalistische Avantgarde einreihen ließe, die es heute aber so nicht mehr gibt, weil das Modell einer Evolution der Form obsolet geworden ist. In ausschließlich formalistischer Perspektive kommt man deshalb, so denke ich, den hier ausgestellten Objekten auch nicht näher.

Nimmt man eine inhaltliche Position ein, dann kann man fragen, was dargestellt ist und wie es zu dieser Darstellung kommt. Aus einer Gattungsperspektive lotet Andreas Zingerle in den Skulpturen die formalen Möglichkeiten aus, die aufblasbare Sexpuppen bieten. Er hat sie teils mit Wasser, teils mit Sand gefüllt und vormodelliert. Er hat sie geknetet, in Schachteln gestopft, verdreht, ineinander verschränkt, auf Rahmen aufgespannt, ein Negativ gebaut und abgegossen. Die möglichen Endformen der Puppen sind im Grunde unendlich. Der formale Aspekt wird zum Inhalt. Man könnte sogar sagen, dass der Sinn in den vielfältigen formalen Möglichkeiten liegt. Denn, wenn man es nicht weiß und nicht genau schaut, wird man die Sexpuppe als Grundmaterial meist nicht erkennen. Das Narrativ wäre somit weniger die Sexpuppe mit all ihren Konnotationen von Macht, Patriarchat und Befriedigung als vielmehr die Vielfalt der möglichen Formen.

Fragt man nach dem Genre der Bilder, so fallen sie zunächst in die Kategorie der Porträtmalerei. Porträts als Erinnerungen an junge Muslime und an Journalisten aus aller Welt. Für die Porträts hat Andreas Zingerle auf Fotos und Informationen aus dem Internet zurückgegriffen, konnte also nicht, wie man es für die klassische Porträtmalerei einfordert, den Charakter der Porträtierten, deren Seele einfangen. Er kannte sie nicht persönlich. Ihm standen nur biographische Daten und Fotos zur Verfügung. Indem er die Fotos am Computer bearbeitet, daraus Schablonen schneidet, Farbe aufsprüht, mit dem Pinsel verstreicht und verwischt, wieder sprüht, eventuell das, was er gemalt hat, übermalt, entsteht ein charakteristisches Spiel von Schärfe und Unschärfe.

Man könnte nun auf diesem Niveau einer formal raffinierten Umsetzung von Fotos in Malerei die Betrachtung beenden, wäre da nicht noch etwas, das die Sicht einer formalistischen Porträtmalerei unbefriedigt erscheinen lässt. Wer sind diese Menschen. Wer sind diese Journalisten und diese jungen Muslime. Oder, besser gefragt: wer waren sie, denn viele von ihnen sind tot. Die einen tot durch Fremdtötung, die anderen tot durch Selbsttötung. Die einen wurden getötet, weil sie sich für eine andere Welt engagierten, die anderen töteten, weil alles, was nicht in ihr strenges Regelprofil passte, Schmutz war und deshalb ausgelöscht werden musste. Die einen waren Opfer, die anderen waren Täter. Die einen werden gezielt und individuell getötet, die anderen töteten im Kollektiv.

Täter wie Opfer lassen sich biographisch festmachen. Gibt man die Namen bei Wikipedia ein, so erhält man die notwendige Information. Doch was ist das künstlerische Mehr? Was ist der Unterschied zur lexikalischen Information. Porträts aus Künstlerhand heben die Porträtierten nach traditionellem Verständnis auf eine geschichtliche Bedeutungsebene. Sie sollen nach dem Willen des Auftragsgebers dem Vergessen entrissen werden, weil sie es wert sind, in Erinnerung zu bleiben. Auftraggeber und Künstler fallen bei Andreas Zingerle zusammen. Er wählt aus, wen er malt und er entscheidet, wie er ihn oder sie malt. Wenn wir, so denke ich, darin übereinstimmen, dass der Opfer gedacht werden soll, dass ihre Würde in Porträtmalerei aufgehoben werden soll, so sind wir uns bei den Tätern wohl nicht mehr sicher. Was ist der Sinn, die Täter zu malen. Dürfen, sollen Täter überhaupt porträtiert werden.

An dieser Stelle zeichnet sich das Mehr der Kunst ab, also jene Möglichkeit, die Kunst im Unterschied zu anderen Weltbezugsystemen besitzt. Geht man davon aus, dass Kunst – zumindest in einer Variante – ein Konzept formal derart umsetzt, dass diese Umsetzung eine Vielfalt an Referenzen offen lässt, deren Relevanzen letztlich unentscheidbar bleiben, oder dass Kunst ein idealer, man könnte auch sagen: komplexer Zusammenklang zwischen Form und Inhalt ist, so interpretiert in diesen Bildern der Inhalt die Form und die Form den Inhalt. Zwar gibt es auch vielfach Ansätze, in denen das Material in seinen Eigenschaften zur Eingrenzung der Bedeutung beiträgt, doch scheint mir dieses zumindest bei den Bildern keine Rolle zu spielen.

Die Menschen hinter den Porträts sind austauschbar, solange es sich um politische Opfer bzw. um politische Täter handelt. Insofern sind die Porträts erweiterbar oder auch reduzierbar. Die Form hingegen ist es nicht. Sie ist absichtsvoll so und nicht anders gewählt. Während Andreas Zingerle in den Opferporträts mit starken und mittleren Kontrasten arbeitet, schwinden diese in den Täterporträts. Man sieht nur noch schwach die Kontur des Kopfes. Augen und Mund treten teils maskenhaft hervor, teils sind sie dermaßen verwischt, dass eine Identifizierung fast nicht mehr möglich ist. Gleichzeitig damit ist eine Verzerrung, die nichts mehr mit einer repräsentativen Porträtmalerei zu tun hat. Während man hinter den Opferporträts trotz des Schreckens in der Klarheit der Form und der Identifizierbarkeit der Porträtierten einen Respekt vor den individuellen Leistungen für die Gesellschaft und die Würde der Menschen erkennt, tauchen die Täter in eine Anonymität ab, die sich mit Angst verbindet. Wer sind die Dargestellten? Man erkennt sie nicht. Bei einigen Porträts könnte es jeder sein. Nur im unmittelbaren Fotovergleich könnten die Formen auf der Leinwand mit konkreten Menschen in Zusammenhang gebracht werden, auch wenn man sich dann immer noch nicht ganz sicher sein kann. Die Täter sind formal nicht derart konkretisiert wie es die Opfer sind.

Andreas Zingerle nutzt die Porträtmalerei somit einmal in ihrem ursprünglichen Sinn, nämlich dem oder der Porträtierten einen Platz in der Ahnengalerie zu geben. Das andere Mal jedoch verallgemeinert er sie, um etwas mit darzustellen, was auf der Leinwand nicht unmittelbar sichtbar ist: den Terror der Täter mit all den unschuldigen Opfern. Die verschiedene formale Umsetzung folgt diesem doppelten Narrativ.

Wenn wir nochmals die Skulpturen in das Kalkül einbeziehen, so bleibt neben dem formalistischen Aspekt immer noch die Tatsache, dass sie eigentlich eine betonierte Ersatzsexualität darstellen. Die Puppen sind für eine kurzzeitige Befriedigung nicht mehr brauchbar. Psychoanalytisch ist Sexualität häufig an Macht und Unterwerfung gekoppelt. Doch kann man in die Puppen nicht mehr eindringen, man kann sie nicht mehr unterwerfen. Die 72 Skulpturen als zynisch-kritische Anspielung an die 72 Jungfrauen im Paradies sind zu Stein geworden. Die Opfer waren sinnlos und die Taten der Täter sind es auch.

Dieses Jannah, arabisch das Paradies, ist kein Paradies. Weder auf Erden noch anderswo.

Markus Pescoller

Dipl.Rest. – Kunsthistoriker

 

Lesen Sie mehr →

Andreas Zingerle Jannah

Tubla da Nives 04.03 – 26.03.2017


Dem Flüchtigen Körper und Form verleihen

Haut, Dichte und Volumen im Werk von Andreas Zingerle

Günther Oberhollenzer

Schwere Betonleiber und - Torsi, die an menschliche Körper oder auch künstliche Häute erinnern, banale Kleidungsstücke, sonderliche Prothesen und Artefakte: die skulpturalen Arbeiten von Andreas Zingerle lassen stauen. Beton ist für den Künstler das adäquate materielle Ausdrucksmittel, um dreidimensionale Arbeiten zu gestalten, es reizt ihn, gerade dessen grobe, harte Struktur gegen den Strich zu bürsten, ihn in weiche, bisweilen zarte Formen zu gießen. Zingerle konfrontiert uns mit außergewöhnlichen, oft auch irritierenden Objekten, die unsere Wahrnehmung herausfordern und sich eindeutigen Interpretationen entziehen. Sowohl in Material wie Inhalt stehen die Arbeiten dabei in der Tradition eines erweiterten Skulpturenbegriffes. Klassische Merkmale der Skulptur werden zwar beibehalten, gleichzeitig aber neu verhandelt und kritisch hinterfragt.

Wenn in der postmodernen Kunstpraxis von Skulpturen die Rede ist, scheint oft ungeklärt, was darunter nun genau verstanden wird. Der traditionelle Gattungsbegriff bezeichnet ein körperbildendes Werk mit den spezifischen Merkmalen der Dreidimensionalität, der Positionierung im Raum und der haptischen Erfahrbarkeit. Doch im 20. Jahrhundert wird der Skulpturbegriff von künstlerischer Seite aufgebrochen und entscheidend erweitert. War die Skulptur Jahrhunderte lang Abbild der Anatomie des Menschen, so wendet sie sich am Beginn des 20. Jahrhunderts vom Prinzip des Figuralen ab. In dieser Zeit beginnt einerseits der Prozess der Abstraktion, eine Vertreibung und Zertrümmerung der Gegenstandswelt, andererseits ein Vergegenständlichen der Skulptur (man denke nur an die sogenannten „Readymades“, gewöhnliche Objekte und industriell gefertigte Gebrauchsgegenstände, die in die Kunst übergeführt und zu Skulpturen erklärt werden). Die in den 1960er und 70er Jahren eingesetzte Erweiterung des Skulpturenbegriffes (durch Joseph Beuys oder Fluxus, aber auch durch Konzeptkunst, Minimal Art und Arte Povera) schafft dann grundlegend veränderte, z.T. völlig neue Voraussetzungen und brachte eine vielfältige Öffnung in der Auswahl der Materialien und Darstellungsformen. Künstlerinnen und Künstler experimentieren mit unterschiedlichen Material- und Aggregatzuständen, sie beginnen, den traditionellen Skulpturenbegriff um die zeitliche Dimension zu erweitern, sich für das Sichtbarmachen des künstlerischen Prozesses sowie die dabei wirkenden Energien zu interessieren, sie entwickeln raumgreifende multimediale Installationen oder laden das Publikum durch Anweisungen zur Partizipation ein, bisweilen werden erst mit der Bedienung der Objekte diese zu Kunstwerken. Damit verbunden ist eine Reflexion über die künstlerischen Möglichkeiten des autonomen skulpturalen Werkes, die Grenzen zwischen Skulptur, Aktion und Performance verschwimmen. Eine Skulptur kann auch eine rein sprachliche Äußerung sein, ein Text oder eine Anweisung, ein Fotodokument, eine soziale Plastik. In letzter Zeit kann man wieder eine stärkere Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur als Körper im Raum beobachten. Und neben den neuen, experimentell eingesetzten Arbeitsmitteln und Ausdrucksformen finden sich auch nach wie vor „klassische“ Materialien wie Bronze, Marmor oder Holz. (1)

Mit der Verwendung von Beton entscheidet sich Zingerle für einen in der Kunst eher ungewöhnlichen Werkstoff, er transformiert eine formbare, leichte Hülle (eine aufblasbare Sexpuppe ebenso wie eine konventionelle Hose) in ein statisches, schweres Objekt und verleiht ihr dadurch eine bedeutungsaufgeladene Präsenz. Und auch wenn meist figurative Körper die Arbeit bestimmen, sind diese weit von einer traditionellen skulpturalen Auseinandersetzung mit Mensch und Gegenstand entfernt. Gespannt und gepresst, verformt und verknotet: Zingerle versucht durch die Überführung in Beton Dichte, Masse und Volumen eines Körpers neu zu denken, das nicht Greifbare greifbar zu machen, ihm im besten Sinne des Wortes Gewicht und Bestand zu geben. Die Ausgangsmaterialen wie Hose oder T-Shirt werden im Urzustand belassen, mit Gips abgegossen und dann in Beton vervielfältigt, oder – etwa im Falle der zur Anwendung kommenden Sexpuppen – mit einer Mischung aus Sand und Sägespänen, bisweilen auch mit Wasser gefüllt, in die gewünschte Formen erbracht, ein Gipsnegativ angefertigt und dann in Beton gegossen (wobei eine saubere und detailreiche Wiedergabe der Oberfläche für den Künstler essenziell wichtig ist). Es ist ein lustvolles dialogisches Spiel der Gegensätze: Leichtigkeit und Schwere, Leere und Masse, Licht und Schatten. Ein Ausreizen des Materials, ein Ausloten der Grenzen des Darstellbaren, auch ein Festhalten und Sichtbarmachen der (kinetischen) Energie, die von Körper und Gegenstand auszugehen scheint oder ihn ihnen gespeichert ist.

In einer Fotoserie verschmelzen der menschliche Körper und seine Haut mit einer von der Decke hängenden Kette oder mit aufgeblasenen Volumina, in den Skulpturen wird die Haut zum formbaren Objekt. Sie ist Fetisch und Lustobjekt, modellierbare Hülle und Begrenzung. Am Boden verstreut liegend, auf Metalltischen arrangiert, an der Wand montiert (wie aus dieser heraus- wachsend) oder auch von der Decke hängend: Zingerle inszeniert die Skulpturen wie eine technisch-organische Versuchsanordnung, die in ihrer cleanen Sterilität und ihrem experimentellen Setting bisweilen an ein schauerliches Laboratorium denken lassen. Surreal in Form und Inszenierung wird die tote Materie belebt und bleibt doch immer nur Abbild einer zweiten Haut, eines Körperersatzes, Stellvertreter für den Menschen und das vom Menschen Gemachte.

Kulturgeschichtlich wird die Haut als schützende, bergende, aber auch als verbergende und täuschende Hülle imaginiert. Sie dient der Abgrenzung, ist die Grenze zwischen dem Menschen (das Innen) und seinem Umraum (das Außen), sie verdeckt und verhüllt, kann aber auch aufgerissen und verletzt werden. Einmal liegt das Authentische unter der Haut, im Leib verborgen und entzieht sich so dem Blick. Die Haut ist demnach anders als das Selbst und ihm gegenüber fremd und äußerlich gedacht. Dann wieder ist die Haut mit dem Subjekt, der Person gleich. Die „Essenz“ liegt nicht unter der Haut, im Innern verborgen, sondern ist die Haut, die für den ganzen Menschen steht. Daran geknüpft sind zwei grundlegende Arten, die Haut zu betrachten, die die zwei heute noch vorherrschenden konträren Modelle des Leib-Seele-Verhältnisses repräsen-tieren: Die Haut als Hülle und die Haut als Ich. Die Haut als Wohnung oder Haus, als umhüllende Schicht, in der verborgen sich das Subjekt befindet, steht in diametralem Gegensatz zur Haut als empfundener Grenze, die durch Sinneswahrnehmungen wie Schmerz oder Lust erfahrbar wird, als Organ der Welterschließung, aber zugleich auch als Gefängnis. (2)

Zingerles Haut hat sich vom Menschen gelöst, sie ist eine zweite, eine künstliche Hülle, kalt und technisch, steril und unnahbar. Fein säuberlich aufbereitet sehen wir modellierte und zusammengepresste Hautballen, aber auch anthropomorphe Fragmente und sich verselbstständigende organische Formen. Körperliche Mutationen – etwa Knieabgüsse, die mit unterschiedlichen Alltagsgegenständen kombiniert werden – heben die Grenzen zwischen Körper und Surrogat, Mensch und Maschine bewusst auf. Nicht der ursprüngliche Gegenstand, wie bei den „Readymades“, kommt zum Einsatz, sondern seine plastische Transformation in Gips und Beton. Sind die Arbeiten Sinnbilder für unsere hochtechnisierte Welt, in der Mensch mit Maschine immer mehr eine Einhein bildet, unsere Realität immer mehr von Künstlichkeit und Virtualität durchdrungen wird? Der Künstler möchte keine eindeutigen Antworten darauf geben.

Neben der Skulptur ist die Malerei das zweite bevorzugte Medium in Zingerles Schaffen. Fein lasiert gemalte Gestalten, die wie Schatten ihrer selbst erscheinen, verwaschene unscharfe Gesichter, die zwischen Individuum und Stereotyp angesiedelt sind: auch hier verleiht der Künstler dem Verschwindenden Form und Aussehen, will es auf der Leinwand festhalten, der Kurzlebigkeit unserer Zeit entziehen. Die gemalten Bilder verweigern sich wie die Skulpturen einer klaren inhaltlichen Lesbarkeit. In ihrer unaufgeregten Form, ihren vielfältigen zarten Grautönen (wobei sie nie ausschließlich eine Mischung von Schwarz und Weiß sind, sondern, wie der Künstler betont, immer auch etwas Gelb, Rot oder Blau beinhalten) und zurückhaltenden Bildmotiven unterscheiden sie sich unaufdringlich und selbstbewusst von der uns umgebenden multimedialen Wirklichkeit  eine grellbunte Welt, in der Aufmerksamkeit erregen oft die höchste Maxime ist. Immer lauter zu sein und auf den vordergründigen Effekt aus zu zielen ist auch vielen zeitgenössischen künstlerischen Positionen nicht fremd. Wohl aber Zingerle.

Als Ausgangspunkt dienen Fotos, selbst gemachte oder auch im Internet gefundene. Sie werden digital am Computer bearbeitet und auf ihre Hell-und Dunkelwerte reduziert. Die analoge Umsetzung – mittels Schablone gesprühtes und dann fein lasiert gemaltes Öl auf Leinwand – ist aber Malerei durch und durch. Rasch löst sich der Künstler von der fotografischen Vorlage und entfernt, einem Eliminierungsprozess gleich, alles Überflüssige, bis nichts mehr die Konzentration vom eigentlichen Motiv nimmt, bis keine Details mehr auf spezifische Orte verweisen und sich das Persönliche zur Allgemeingültigkeit öffnet. Der malerische Prozess und die investierte Zeit, die Änderungen und Schichtungen, das Sprühen, das fein lasierte Malen und wieder Wegwischen ist in die Bilder eingeschrieben und stellt eine hohe Dichte her – eine Dichte, die beim Betrachten der Bilder auch spürbar und durch bewusst belassene Farbrinnspuren auch sichtbar ist. Neben den Schattengestalten malt Zingerle vor allem Portraits, Gesichter mit transparenter Haut zwischen Schärfe und Unschärfe, die sich stets in einem Spannungsfeld von Wiedererkennbarkeit und Anonymität bewegen. In einer Serie zeigt er Terrorattentäter, in einer anderen, Opfer derartiger Anschläge. Die Titel der Bilder sind die Initialen der Dargestellten. „Es hat diese Menschen gegeben“, scheint uns Zingerle sagen zu wollen, gleichzeitig verweigert er eine eindeutige Identifizierbarkeit. Er verunklärt seine Motive, lässt sie wie nebulöse, nicht fassbare Traumbilder erschienen, die jeden Moment wieder verschwinden können, noch ehe sie ganz in das Bewusstsein gedrungen sind. Sie sind Dokumente unserer Zeit und doch mehr als das. Dem Künstler geht es um das Spezifische wie Allgemeine, um das Persönliche (oder auch ihn persönlich betroffen Machende) und das drüber Hinausweisende, von grundsätzlichem, ja universellem Belang. Wieso Malerei und nicht Fotografie? Vielleicht sieht Zingerle in diesem klassischen Medium mehr Möglichkeiten, dem flüchtigen Moment Dauer, dem Beiläufigen Tiefe, dem medialen Overkill durch das Herausschälen einzelner Bildmotive Bedeutung zu geben.

Doch wie positioniert sich die Malerei in einer Welt, in der sich die Rolle des Bildes grundlegend gewandelt hat? Auch hier ein kurzer Exkurs. Lange Zeit hatte die Malerei das Monopol auf das große, farbige und wirkungsmächtige Bild. Dann aber wurde sie von der Fotografie als neues Leitmedium des Bildes abgelöst. Dennoch blieb die Malerei bis weit in das 20. Jahrhundert das unumstrittene Hauptmedium der Kunst. In den letzten Jahrzehnten hat sich das aber nachhaltig verändert. Mit weitreichenden Folgen. Die Entlassung der Malerei aus ihrem traditionellen, hegemonialen Status hat dieses Medium möglicherweise mehr noch als die Revolution der klassischen Moderne um 1900 von Bildungen und externen (etwa gesellschaftlichen) Zwängen befreit. Die Malerei als „minderheitliches Medium“ besitze keine gesellschaftliche Begründung mehr, nur noch eine künstlerische. Die neue Rolle der Malerei kann dabei durchaus als Chance gesehen werden, die in der Vielfalt und streckenweise Unabhängigkeit von den nunmehr dominierenden Bildtypen zum Ausdruck kommt. Der Maler kann in dieser Situation frei entscheiden, in welches Verhältnis zur zeitgenössischen Bildwelt, zu den anderen künstlerischen Medien und zur Tradition der Malerei er sich mit seiner Kunst begibt. Das Schöne dabei ist: heute ist alles in der Malerei möglich und erlaubt. (3)

Zingerle weiß um das Potenzial der Malerei, und er weiß es zu nützen. Seine Bilder bauen auf der Malereitradition auf, sie sind aber gegenwärtig und aktuell. Freigespielt von den Kunstdiskursen des 20. Jahrhunderts (die ihn vermutlich nicht kümmern) hat er zu einem ganz persönlichen Stil gefunden, ein Stil, der ohne Scheu und ohne es zu verheimlichen sich der Fotografie als unterstützendes Medium bedient (wie es übrigens auch schon die Maler des 19. Jahrhunderts oft getan haben). Der Künstler braucht die Fotografie, um sich von ihr zu emanzipieren. Die konzentrierten, grauen Malereien sind Gegenentwürfe zu der plakativen, eindeutigen und schnelllebigen (fotografischen) Bildsprache unserer Zeit, wie sie uns etwa auf den Social Media-Kanälen des World Wilde Web begegnet. Zingerles Bilder bleiben geheimnisvoll, uneindeutig und vielschichtig.

Den Moment festhalten, ihm Bedeutung verleihen, ist seit jeher ein zentraler Antrieb künstlerischen Schaffens. Künstlerinnen und Künstler versuchen, Zeugnisse ihrer Zeit abzugeben – eine Weltaneignung und Welterfindung in Form und Inhalt, die im besten Fall weit über ihre Gegenwart hinaus Ausstrahlung und Gewicht besitzt. So kann auch Zingerles Werk betrachtet werden: In dieser Ausprägung und Gestalt konnten seine Skulpturen und Malereien wohl nur hier und jetzt geschaffen werden, doch in ihren Themen sind sie hochaktuell und zeitlos zugleich: das Sein, der Körper, die menschliche Existenz in einer sich rasend verändernden Welt.

1 Vgl. Peter Waibel, Die Skulptur im 20. Jahrhundert. Zwischen Abstraktion, Gegenstand und Handlung, in: Österreichischer Skulpturenpark Privatstiftung (Hg.), Garten der Kunst. Österreichischer Skulpturenpark, Ostfilden 2006, S.13-26.

2 Siehe dazu Claudia Benthien, Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reibeck bei Hamburg, 2001 (2. Auflage), S. 27-48.

3 Siehe dazu Robert Fleck, Die Ablösung vom 20. Jahrhundert. Malerei der Gegenwart, Wien 2013, S. 23-27.


Giving body and form to the ephemeral

Skin, density and volume in the work of Andreas Zingerle

Text: Günther Oberhollenzer Translation: Judith Zingerle

Heavy concrete bodies and torsos, reminiscent of human bodies or even artificial skins, banal pieces of clothing, special prostheses and artefacts: the sculptural works of Andreas Zingerle make you marvel. For the artist, concrete is the adequate material means of expression to create three-dimensional works; he is tempted to brush precisely its coarse, hard structure against the line, to cast it into soft, sometimes delicate forms. Zingerle confronts us with extraordinary, often irritating objects that challenge our perception and elude clear interpretations. In terms of both material and content, the works stand in the tradition of an expanded concept of sculpture. Classical features of the sculpture are retained, but at the same time they are renegotiated and critically questioned.

When talking about sculptures in postmodern art practice, it often seems unclear what exactly is meant by them. The traditional generic term refers to a body-forming work with the specific characteristics of three-dimensionality, positioning in space and haptic experience. However, in the 20th century the concept of sculpture was broken up and decisively expanded from the artistic side. While sculpture had been a reflection of the human anatomy for centuries, at the beginning of the 20th century it turned away from the principle of the figurative. This was the time when, on the one hand, the process of abstraction, a displacement and destruction of the world of objects, and, on the other hand, an objectification of sculpture began (one need only think of the so-called "Readymades", ordinary objects and industrially manufactured commodities that were transferred to art and declared as sculptures). The expansion of the concept of sculpture that began in the 1960s and 70s (by Joseph Beuys or Fluxus, but also by Conceptual Art, Minimal Art and Arte Povera) then created fundamentally changed, in some cases completely new conditions and brought a multifaceted opening in the choice of materials and forms of representation. Artists experimented with different material and aggregate states, they began to expand the traditional concept of sculpture by the temporal dimension, they became interested in making the artistic process visible and in the energies that were at work, they developed space-consuming multimedia installations or invited the audience to participate by giving instructions, sometimes the objects only became works of art when they were operated. Connected with this is a reflection on the artistic possibilities of the autonomous sculptural work, the boundaries between sculpture, action and performance become blurred. A sculpture can also be a purely linguistic utterance, a text or an instruction, a photographic document, a social sculpture. Recently, one can again observe a stronger examination of the human figure as a body in space. And alongside the new, experimentally used working materials and forms of expression, "classical" materials such as bronze, marble or wood can still be found. (1)

With the use of concrete, Zingerle chooses a material that is rather unusual in art; he transforms a malleable, light shell (an inflatable sex doll as well as conventional trousers) into a static, heavy object, thus giving it a presence charged with meaning. And even though mostly figurative bodies determine the work, they are far from a traditional sculptural examination of man and object. Stretched and pressed, deformed and knotted: Zingerle tries to rethink the density, mass and volume of a body by transferring it into concrete, to make the intangible tangible, to give it weight and durability in the best sense of the word. The basic materials such as trousers or T-shirts are left in their original state, cast in plaster and then duplicated in concrete, or - in the case of the sex dolls used, for example - with a mixture of sand and sawdust, sometimes filled with water, placed in the desired forms, a plaster negative is made and then cast in concrete (whereby a clean and detailed reproduction of the surface is essential for the artist). It is a lustful dialogical game of opposites: lightness and heaviness, emptiness and mass, light and shadow. It is an exhaustion of the material, a fathoming of the limits of what can be represented, also a capturing and visualization of the (kinetic) energy that seems to emanate from the body and object or is stored in them.

In a photo series, the human body and its skin merge with a chain hanging from the ceiling or with inflated volumes; in the sculptures, the skin becomes a malleable object. It is fetish and object of desire, a malleable shell and boundary. Lying scattered on the floor, arranged on metal tables, mounted on the wall (as if growing out of it) or hanging from the ceiling: Zingerle stages the sculptures like a technical-organic experimental arrangement, which in their clean sterility and experimental setting sometimes make one think of a horrible laboratory. Surreal in form and staging, the dead matter is enlivened and yet it always remains only the image of a second skin, a body substitute, a substitute for man and what man has made.

From a cultural-historical point of view, the skin is imagined as a protective, retrieving, but also as a hiding and deceptive shell. It serves as a demarcation, is the border between the human being (the inside) and his surrounding space (the outside), it covers and veils, but can also be torn open and injured. At one point the authentic lies under the skin, hidden in the body and thus eludes the gaze. The skin is thus different from the self and foreign to it, and is conceived externally. Then again, the skin is the same as the subject, the person. The "essence" does not lie under the skin, hidden inside, but is the skin that stands for the whole person. Two basic ways of looking at the skin are linked to this, representing the two contrasting models of the body/soul relationship that still prevail today: The skin as a shell and the skin as I. The skin as apartment or house, as an enveloping layer in which the subject is hidden, is diametrically opposed to the skin as a perceived border, which can be experienced through sensory perceptions such as pain or pleasure, as an organ of world exploration, but at the same time also as a prison. (2)

 Zingerle's skin has detached itself from humans, it is a second, an artificial shell, cold and technical, sterile and inaccessible. Finely and neatly prepared, we see modelled and compressed skin balls, but also anthropomorphic fragments and organic forms that have taken on a life of their own. Physical mutations - such as knee casts that are combined with various everyday objects - consciously dissolve the boundaries between body and surrogate, man and machine. It is not the original object as in the "Readymades" that is used, but its plastic transformation into plaster and concrete. Are the works symbols of our highly technical world, in which man and machine increasingly form one unit, our reality is increasingly permeated by artificiality and virtuality? The artist does not want to give clear answers to this question.

Besides sculpture, painting is the second preferred medium in Zingerle's work. Finely glazed painted figures that seem like shadows of themselves, blurred, blurred faces that are located between the individual and the stereotype: here too the artist gives form and appearance to the disappearing, wants to capture it on canvas, to escape the short-livedness of our time. Like the sculptures, the painted pictures refuse to be clearly readable in terms of content. In their unagitated form, their manifold delicate shades of grey (although they are never exclusively a mixture of black and white, but, as the artist emphasizes, always contain some yellow, red or blue as well) and restrained pictorial motifs, they unobtrusively and self-confidently distinguish themselves from the multimedia reality surrounding us, a garishly colourful world in which attracting attention is often the highest maxim. To be louder and louder and to aim for the superficial effect is also not alien to many contemporary artistic positions. But to Zingerle it is.

Photos, self-made or found on the Internet serve as a starting point. They are digitally processed on the computer and reduced to their light and dark values. The analog implementation - oil on canvas sprayed by means of a stencil and then painted with a fine glaze - is painting through and through. The artist quickly detaches himself from the photographic model and, like a process of elimination, removes everything superfluous, until nothing takes the concentration away from the actual motif, until no details refer to specific places and the personal opens up to general validity. The painterly process and the time invested, the alterations and layering, the spraying, the finely glazed painting and wiping away again is inscribed in the pictures and creates a high density - a density that can be felt when looking at the pictures and is also visible through deliberately left traces of color. In addition to shadow figures, Zingerle mainly paints portraits, faces with transparent skin between sharpness and blurriness, which always move in a field of tension between recognizability and anonymity. In one series he shows terror attackers, in another, victims of such attacks. The titles of the pictures are the initials of the people depicted. "There have been these people", Zingerle seems to want to tell us, at the same time he refuses a clear identification. He obscures his motifs, makes them appear like nebulous, incomprehensible dream images which can disappear again at any moment, even before they have completely penetrated consciousness. They are documents of our time and yet more than that. The artist is interested in the specific and the general, in the personal (or even in what affects him personally) and in what points out, of fundamental, even universal importance. Why painting and not photography? Perhaps Zingerle sees more possibilities in this classical medium to give meaning to the fleeting moment of duration, the incidental depth, the medial overkill by peeling out individual pictorial motifs.

But how does painting position itself in a world in which the role of the picture has fundamentally changed? Here, too, a brief digression. For a long time, painting had a monopoly on the large, colorful and effective picture. But then it was replaced by photography as the new leading medium of the picture. Nevertheless, painting remained the undisputed main medium of art until well into the 20th century. In recent decades, however, this has changed permanently. With far-reaching consequences. The release of painting from its traditional, hegemonic status has possibly freed this medium from formations and external (e.g. social) constraints even more than the revolution of classical modernism around 1900. Painting as a "minority medium" no longer had any social justification, only an artistic one. The new role of painting can certainly be seen as an opportunity, which is expressed in the diversity and in some cases independence from the now dominant types of pictures. In this situation, the painter is free to decide in which relationship to the contemporary pictorial world, to other artistic media and to the tradition of painting he wants to enter with his art. The nice thing is: today everything is possible and permitted in painting. (3)

Zingerle knows about the potential of painting, and he knows how to use it. His paintings build on the painting tradition, but they are present and current. Freed from the art discourses of the 20th century (which he probably does not care about), he has found a very personal style, a style that uses photography as a supporting medium without shyness or concealment (as the painters of the 19th century often did, by the way). The artist needs photography to emancipate himself from it. The concentrated, grey paintings are counter-designs to the striking, unambiguous and fast-moving (photographic) visual language of our time, as we encounter it on the social media channels of the World Wild Web, for example. Zingerle's paintings remain mysterious, ambiguous and complex.

Capturing the moment, giving it meaning, has always been a central drive of artistic creation. Artists try to bear witness to their time - a world appropriation and world invention in form and content, which at best has charisma and weight far beyond its present. Zingerle's work can also be viewed in this way: In this form and shape his sculptures and paintings could probably only be created here and now, but in their themes they are highly topical and timeless at the same time: being, the body, human existence in a rapidly changing world.

1 According to: Peter Waibel, Die Skulptur im 20. Jahrhundert. Zwischen Abstraktion, Gegenstand und Handlung, in: Österreichischer Skulpturenpark Privatstiftung (ed.), Garten der Kunst. Österreichischer Skulpturenpark, Ostfilden 2006, pp.13-26.

2 According to: Claudia Benthien, Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reibeck bei Hamburg, 2001 (2nd edition), pp. 27-48.

3 According to: Robert Fleck, Die Ablösung vom 20. Jahrhundert. Malerei der Gegenwart, Wien 2013, pp. 23-27.

Lesen Sie mehr →